Teilen Sie Graue Panter gegen den Fachkräftemangel Graue Panter gegen den Fachkräftemangel – ist das die Lösung? Von Annette Ehrhardt, seniors@work, und Nicole B. Stucki, HR Director Selecta Schweiz Passende Mitarbeitende zu finden, insbesondere erfahrene Fachkräfte, wird immer schwieriger. In der Diskussion um Lösungen wird ein Potenzial meist übersehen: mit pensionierten 60-75-Jährigen zu arbeiten und so den immensen Erfahrungsschatz der älteren Generation zu nutzen. Bei Fachkräftemangel denken viele an Softwareentwickler, Web- und IT-Spezialisten, KI-Experten, Crypto-Miner und andere sehr zukunftsorientierte Berufe – und winken direkt ab. Denn diese Aufgaben sind ganz klar nicht gerade die Kernkompetenz der über 60-Jährigen. ABER: es gibt unglaublich viele andere Bereiche, in denen die Lücken gross sind, seitdem mehr und mehr Babyboomer in den Ruhestand gehen. Nicht nur KMUs, auch Grossunternehmen spüren den Wandel am Arbeitsmarkt. Laut Nicole B. Stucki, HR Director Selecta Schweiz, ist der Arbeitsmarkt zurzeit sehr angeheizt, da viel Aufgestautes nach der Pandemie nachgeholt wird. „Gute Voraussetzungen, den Arbeitsmarkt neu zu denken!“, so die Expertin. Doch kann das klappen? Kann man in einer Gesellschaft, die von einem regelrechten “Jugendwahn” geleitet ist, plötzlich auf die Alten setzen? Die Realität zeigt, dass es heute schon ab Anfang 50, wenn nicht gar Ende 40, schwierig wird, einen neuen Job zu finden. Tatsächlich sind die Vorbehalte gegen pensionierte Fachkräfte vor allem bei Grossunternehmen gross, und Arbeiten mit Pensionierten passt (noch?) nicht zu den bestehenden Prozessen und Gewohnheiten im HR Bereich. Auch wird die riesige Gruppe der Pensionäre, also der Leute von 60 bis weit in die 90er, noch viel zu oft über einen Kamm geschert. Dabei heisst „pensioniert“ nicht unbedingt „alt“, und für viele ist 60 das neue 40. Sind Jungpensionäre also automatisch gebrechlich, altmodisch und abgehängt? Nicole B. Stucki: „Ich höre diesen Vorwurf sehr oft und teile ihn nicht in dieser Form. Gute Dossiers vereinen Ausbildung und Berufserfahrung – und das funktioniert noch nicht in jungen Jahren. Schwierig wird es für die Älteren nur, wenn der Lebenslauf keinen roten Faden erkennen lässt.“ Bei näherem Hinsehen sprechen viele Gründe dafür, als Unternehmen die Zusammenarbeit mit den „Alten“ zu wagen. Hier sind die fünf wichtigsten: Extrem motivierte und engagierte Mitarbeitende Wer in diesem Alter noch auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein möchte, der will es wirklich. Denn man könnte sich auch zurücklehnen und den Ruhestand geniessen. Bei den allermeisten Schweizer:innen reichen die monatlichen Rentenzahlungen, um weiterhin gut über die Runden zu kommen. Unternehmen, die einen Pensionär anheuern, können also sicher sein, echte Begeisterung und Motivation zu bekommen. Gerade wer in exponierten Positionen gearbeitet hat, kann und will nicht von heute auf morgen von 100 auf 0 zurückfahren. Eine Aufgabe, das Gefühl gebraucht zu werden, und die Passion, das eigene Wissen und die langjährige Erfahrung weiterzugeben, sind wichtige Antriebsfedern. Flexible, schnelle Verfügbarkeit um kurzfristigen Bedarf zu decken Pensionäre haben zwar oft viele Freizeitaktivitäten, aber sie sind nicht in anderen Arbeitsverträgen gebunden und meist spontan und schnell verfügbar. Auch sind die Allermeisten nicht an einem dauerhaften Vollzeitjob interessiert. Daher sind sie ideale Mitarbeitende, um kurzfristige Ausfälle aufgrund von Krankheit, Unfall, Mutterschaft, Ferien oder sonstigen unvorhergesehenen Ereignissen im Unternehmen abzudecken. Anders als viele Zeitarbeitende sind sie hochqualifiziert und sehr erfahren in ihrem Bereich. Diversität im Team und generationenübergreifender Ansatz sorgen für bessere Ergebnisse Dass gemischte Teams bessere Ergebnisse liefern als homogene Gruppen, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Das gilt nicht nur für Geschlecht, Herkunft und Ausbildung, sondern eben auch fürs Alter. So freuen sich Start Ups über Coaching und Mentoring durch ehemalige Führungskräfte, Lernende wenden sich bereitwillig an erfahrene Ältere, und die Umsicht und Lebenserfahrung der Pensionäre sind wichtige Soft Skills, von denen alle profitieren. „Das alles haben HR-Abteilungen erkannt, dennoch wird leider noch zu oft in der Rekrutierung nach jenen Profilen gesucht, die man bereits hat – anstelle von ergänzenden Profilen. Und das fördert natürlich nicht die Diversität von Teams“, so Nicole B. Stucki. Pensionäre passen perfekt zu „New Work“, „Gig Economy“ und der Generation Z. Viele Junge suchen Alternativen zum typischen 100% Vollzeitjob. Jobsharing, 80% Modelle, Sabbaticals, Remote Work, Teilzeitarbeiten, Freelance, weniger Loyalität zum Unternehmen,… all das ist im Kommen und bereitet HR-Abteilungen Kopfschmerzen darüber, wie alle Tätigkeiten im Unternehmen zu schaffen sind. Die Arbeitswelt ist also im Wandel, und pensionierte Fachkräfte passen sehr gut in diese neue Welt. Denn sie suchen Teilzeitstellen, in der Regel 20-80 Prozent, zeitlich begrenzte Projekte oder Jobs auf Stundenbasis. Sie wollen sich nicht mehr langfristig binden und ebenso ihre Freiheit geniessen wie die Generation Z. Nicole B. Stucki: „Jede Generation bringt neue Impulse in die Arbeitswelt, und das ist auch gut so. So arbeiten heute immer mehr Männer und Frauen Teilzeit, insbesondere solange die Kinder klein sind. Ein neueres Phänomen, getrieben durch die Pandemie, ist natürlich ein hoher Anteil an Homeoffice. Neu ist aber auch, dass Leute weiterhin mehr Homeoffice machen wollen, da sie sich in dieser Zeit einen Hund oder ein anderes Haustier angeschafft haben.“ Günstigere Alternative wegen niedriger Lohnnebenkosten Last but not least rechnet sich der Einsatz pensionierter Mitarbeitender auch für Unternehmen. Denn wer das gesetzliche Rentenalter von 65 bzw. 64 Jahren erreicht hat, für den fallen keine BVG-Beiträge mehr an. Ein nicht unerheblicher Faktor in der Lohnsumme! Auch für AHV, EV, IO fallen Beiträge erst ab einem jährlichen Freibetrag an. Wer höhere Kader im Rentenalter beschäftigt, profitiert auch davon, dass es diesen Mitarbeitenden weniger ums Salär als um andere Dinge geht, so dass sie oftmals für niedrigere Löhne arbeiten als beispielsweise Mittfünfziger, die ja noch keine Rente beziehen. Die Liste der Vorteile könnte man noch verlängern, beispielsweise sind ältere Mitarbeiter auch gute Verkäufer oder Kundenbetreuer für ältere Kunden – denn durch die steigende Lebenserwartung wird diese kaufkräftige Klientel auch immer interessanter. Und der gesellschaftliche Nutzen, wenn man als Unternehmen etwas gegen Alterseinsamkeit (und in einigen Fällen auch Altersarmut) tut, ist auch nicht zu vernachlässigen. Fazit: Pensionierte Mitarbeitende sind bei weitem nicht das Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel, aber sie können einen wichtigen Beitrag leisten. Nicole B. Stucki fasst zusammen: „Unternehmen sollten sich also ruhig einmal trauen und ihnen eine Chance geben. Wir arbeiten zum Beispiel aktuell mit einem pensionierten Headhunter zusammen und können uns nicht mehr vorstellen, ohne ihn zu arbeiten. Zum guten Glück ist der Level an Motivation und Neugierde immer noch die wichtigste Ingredienz für ein erfülltes Berufsleben, egal in welchem Alter.“