Vor vielen Jahren arbeitete ich drei Jahre beim Mentoring für Jugendliche, einem bikantonalen Projekt zur Vermittlung von Ausbildungsplätzen für junge Menschen, die es etwas schwieriger haben. Dort lernte ich die ehrenamtlich tätige Mentorin Nicole Bertherin kennen. Und wie das so ist, frau läuft sich ab und an über den Weg, auch wenn man nicht ständige Berührungspunkte hat.
Aufmerksam wurde ich auf Nicole Bertherin erst wieder durch einen weiteren Mentor, den ich ab und zu im Trämmli sehe. Wenn möglich tauschen wir uns beim Trämmlifahren aus. Und by the way erwähnte er das Projekt, in welchem er und Nicole zusammen arbeiten: „Impulse Ein Arbeitsmarkt für alle.“
Neugierig surfte ich auf der Homepage von Impulse. Sehr gerne zitiere ich Schlagwörter von der Website:
- „Unsere Vision ist es, die Inklusion in der Arbeitswelt und der Gesellschaft voranzubringen: Dies bedeutet Einbeziehung, Einschluss, Zugehörigkeit. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, sich gleichberechtigt und selbstverantwortlich an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen.“
- „Unsere Mission ist die Förderung von Chancengerechtigkeit: Dazu unterstützen wir Menschen mit Behinderung und Stellensuchende über 50 Jahre sowie Arbeitgeberinnen/Arbeitgeber und Unternehmen.“
Impulse wurde 2011 gegründet. Seit 2018 ist das Angebot für Stellensuchende über 50 Jahre ausgeweitet. Impulse ist ein gemeinnütziger Verein.
Weil mich das alles sehr interessierte, nahm ich Kontakt auf mit Nicole Bertherin. Sie sitzt im Vorstand des Vereins. Und in Zeiten von Corona stellte ich ihr per Email Fragen, die sie mir hier untenstehend beantwortete:
Liebe Nicole, du bist zurück von Japan. Bist du gut heim gekommen oder war es schwierig?
Beides. Ich konnte relativ einfach meinen annullierten Flug auf eine andere Airline umbuchen und bin mit nur 14 (!) weiteren Fluggästen gut in Zürich angekommen. Sehr schwierig war für mich hingegen der Abschied. Ich habe einen traumhaften Monat mit unglaublichen Begegnungen erlebt. In Japan zu stranden, habe ich mir insgeheim fast ein wenig gewünscht.
Wie beurteilst du den Unterschied zwischen älteren Arbeitnehmenden in Japan und hier in der Schweiz? Lässt sich die Situation überhaupt vergleichen?
Sowohl den Schweizern wie auch den Japanern ist die Arbeit im wahrsten Sinne in die Wiege gelegt. Beide Länder liegen ganz vorne, wenn es um die jährlich geleistete Arbeitszeit geht. Der demographische Wandel ist für beide Länder eine grosse Herausforderung. Für Japan die wohl grössere: die japanische Gesellschaft altert und schrumpft in rasantem Tempo. Das siebte Jahr in Folge hat sich die Einwohnerzahl verringert.
Das hat natürlich auch Folgen für den Arbeitsmarkt. Drei Ansätze werden verfolgt – die längere Beschäftigung von älteren Mitarbeitern, die Einbeziehung von mehr Frauen in das Erwerbsleben und die Öffnung des Landes für mehr Einwanderer. Am schnellsten kommt Japan bei der Beschäftigung älterer Menschen voran. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Japan der Arbeit im Alter traditionell einen höheren Stellenwert gegeben wird.
Im Gegensatz zu uns geht die Politik in Japan davon aus, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt im Alter nicht allein durch ihre Rente und private Vorsorge bestreiten, sondern auch durch Arbeit. Daher gehört es in Japan zum normalen Alltag, dass Menschen im Alter von 68 oder 70 noch arbeiten.
Seit wann bist du im Vorstand von Impulse tätig?
Als Mitbegründerin bin ich seit Beginn 2011 für Impulse tätig.
Gibt es einen Unterschied im Umgang mit der Situation zwischen Mentoring für Jugendliche und Impulse? Gehen Junge und Alte unterschiedlich an ihre schwierige Situation heran?
Ob jung oder älter: Phasen des Übergangs können sehr herausfordernd sein. Ich denke, das kennt jeder von uns. Die existentiellen Ängste kommen bei älteren Stellensuchenden anders zum Tragen. Hinzu kommt, dass Nichtarbeiten in unserer Kultur irgendwie keinen Platz hat. Wer längere Zeit nicht arbeitet, mit dem stimmt doch etwas nicht. So zumindest nehme ich oftmals das Credo wahr. Das aus meiner Sicht besonders Gefährliche daran ist, dass dies in Kombination mit der kollektiven Stimmung in den Medien zu einer nicht ungefährlichen Selbststigmatisierung führen kann.
In einer solchen Phase der Unsicherheit ist es wichtig zu erkennen, dass die Zukunft nicht feststeht sondern gestaltbar ist und dass wir uns selbstverantwortlich und konstruktiv an ihrer Gestaltung beteiligen können. Ein Mentoring auf Augenhöhe kann hier eine wertvolle Unterstützung bieten.
Alle reden von steigender Arbeitslosigkeit infolge Corona. Wie schätzt Ihr das ein?
Wir erleben viel Licht und auch Schatten. Mentees, die ihre eben angetreten Stelle wegen der verschlechterten Wirtschaftslage gerade wieder verloren haben. Stellensuchende über 60, die genau jetzt ihren Traumjob finden. Programmteilnehmende, die in den Bereichen, wo sie ihre grössten Chancen ausrechnen gar keine offenen Stellen mehr finden. Und wieder andere, die jetzt sogar mehr passende Stellenprofile finden als vor der Krise, weil sie im Verlauf des Mentoring 50+ ihre Strategie erweitert haben.
Kannst du uns erläutern, wie Ihr vorgeht, wenn sich eine arbeitssuchende Person bei Euch meldet?
Es gibt stets ein unverbindliches Kennenlerngespräch. Wir präsentieren das Mentoring und erfahren, welche Erwartungen der Klient/die Klientin hat. Wenn beide die Teilnahme sinnvoll finden, starten wir. Gemeinsam erarbeiten wir in Einzelgesprächen einen Fahrplan für die nächste Etappe. Je nach Situation braucht es eine Überarbeitung des kompletten Dossiers oder Einzelcoachings, um schwierige Erlebnisse zu verarbeiten. Manche wünschen sich Trainings für Bewerbungsgespräche oder Unterstützung bei ihrer Social-Media Strategie.
Gemeinsam mit Mentoren und Mentorinnen als Sparringpartner wird die Bewerbungsstrategie weiter entwickelt. Ein besonders beliebtes Gefäss sind unsere „Orakelsitzungen“. Hier wird der geballte Power von Mentorinnen/Mentoren und Mentee genutzt, um neue Ideen zu entwickeln oder konkrete Kontakte in spezifischen Branchen zu ermitteln.
Wie bewerten die Stellensuchenden über fünzig das Programm und seinen Nutzen?
In den Abschlussgesprächen wird als einer der wichtigsten Aspekte die langfristige Begleitung genannt. Als einzigartig wahr genommen wird die grosse Bandbreite des Netzwerks sowie die individuelle Begleitung. Oder wie es ein Mentee ausgedrückt hat: «Hier habe ich mich stets als Mensch und nicht als Klient gefühlt. Im Programm konnte ich von Angeboten profitieren, die zu mir und meiner Situation gepasst haben.»
Du schriebst mir in einer Email „Es (Seniors@Work) ist abgesehen davon auch für uns eine interessante Plattform“. Inwiefern ist Seniors@Work interessant für Euch?
Arbeit und Seniorität ist doch unser gemeinsamer und zentraler Berührungspunkt. Viele unserer Klientinnen und Klienten befinden sich kurz vor der Rente oder sind in Frührente und entwickeln im Mentoring 50+ eine Perspektive über ihr Pensionierungsalter hinaus. Seniors@Work ist eine wertvolle Plattform, um an weitere Chancen und Möglichkeiten zu gelangen.
Und wer weiss, vielleicht überlegt sich der oder die eine oder andere sich auch als Mentor oder Mentorin zu engagieren. Es gibt viele spannende Mentoringprogramme in der Schweiz, die sich über zusätzlichen Mentorenpower sehr freuen!
Liebe Nicole, ich danke dir für dieses spannende Email-Interview! Es brachte interessante Einblicke in eine weitere sinnstiftende Organisation zu Gunsten der älteren Arbeitssuchenden. Ihr macht tolle Arbeit. Herzliche Gratulation! Und: bleibt gesund!